Fantasie auf der Spur der Träume

Zündorf. Wenn ein Könner der rea­listischen Zeichnung und Malerei flüchtige Striche und grobe Farb­hiebe . aufs Papier setzt, wirkt selbst das präzise und souverän. Grigory Berstein heißt der Künst­ler, der uns im Museum Zündorfer Wehrturm das Kunststück vor Au­gen führt, wie man das Gleichge­wicht zwischen absichtsvoller fi­gürlicher Darstellung und schwungvoller Ungezwungenheit hält. „Wolkenkuckucksheim" heißt die Ausstellung des 1948 in Moskau geborenen Künstlers, der seit Anfang der 1990er Jahre in Köln lebt.

Das Bild vom Flug in die Wol­ken hängt als Leuchtkasten gleich am Beginn der Ausstellung. Dabei ist es der Künstler selbst, der durch einen undurchsichtigen Nebel aus erdbrauner Farbe fliegt, während er ein Chaos aus figürlichen Frag­menten wie das Gepäck des Le-

Bersteins Kunst ist voller symbolischer Verweise auf ewige existenzielle Erfahrungen

bens auf seinem Rücken trägt. Dass die Wolken braun sind, er­weckt die Vorstellung, als geschä­he der Flug möglicherweise nicht in der Luft, sondern unter der Erde. Zur Erinnerung: Das Wort „Wol­kenkuckucksheim" stammt aus der Komödie „Die Vögel" des alt­griechischen Dichters Aristopha­nes aus dem Jahr 414 vor Christus,. als eine Kritik an der damaligen Politik in der Stadt Athen. Es be­zeichnet eine Stadt in den Wolken, die sich die Vögel als Zwischen­reich gebaut haben, um ihre Macht zu vergrößern und den Transfer zwischen Menschen und Göttern zu kontrollieren.

Ähnlich wie die antike Vorlage erweist sich Berstein als Künstler der Kritik, des Humors und der existenziellen Tiefe. Er pflegt das Geheimnis und die Vieldeutigkeit. Und er führt die Fantasie auf die Spur, die unseren nächtlichen Träumen ähnelt. Als Meister der sorgfältigen Inszenierung hat sich Berstein für den Wehrturm eine

ganz besondere Präsentation aus­gedacht. So nutzt er als erster Künstler ausnahmslos die Vitrinen auf den fünf Stockwerken des his­torischen Gemäuers. Er fertigte die dreizehn Werke eigens für die­se Örtlichkeit an, sodass sie genau auf die Größe und Lichtwirkung des Wehrturms abgestimmt sind. Alle Besucher am Eröffnungs­tag der Ausstellung waren sich ei­nig, dass Berstein eine einzigartig stimmige Inszenierung gelungen ist. Eine, wie sie im Wehrturm so noch nicht erlebt werden konnte. Wunderlich und unheimlich zu­gleich wächst der Waldläufer aus einem Bild heraus und erinnert an die unauflösbare Bindung des Menschen an die Natur. Die Frau, die still in die Weite blickt, verkör-

pert wiederum die Sehnsucht des Menschen nach Ruhe und Einheit mit dem großen Ganzen der Welt. Aus einer abstrakt-romantischen Szenerie schaut in einem Rund­spiegel der humorvoll gemalte Kopf eines sich rasierenden alten Mannes heraus. Schwarze Silhou­ettenmenschen bringen wiederum eine unheimliche Dimension ins Spiel. Bersteins Kunst ist voller

Zur Person

Grigory Berstein wurde 1948 in Moskau geboren. Er machte sein Diplom im Jahr 1972 an der dorti­gen Kunstakademie. Er arbeitet seit 1981 als freier Künstler und Buchillustrator.

symbolischer Verweise auf ewige existenzielle Erfahrungen, aber auch auf seine russische Herkunft. In der einzigen Installation auf der obersten Plattform des Wehrtur­mes kommen schließlich Birken, ein Feldbett und Papierflugzeuge zusammen. Das erinnert in seiner Mischung aus Verlorenheit, Ge­heimnis und stiller Energie an die Filme des russischen Regisseurs

Im Jahr 1991 siedelte der Künst­ler nach Deutschland um und lebt seitdem in seiner Wahlhei­mat Köln. Grigory Berstein arbei­tet in einem Atelier im Kunstwerk in Deutz. (ik)

Andre Tarkowski und an die Kunst von Josef Beuys. Genau zwischen diese beiden Polen,_ sowie einer ex­pressiv romantischen Malerei und illustrativer Gewitztheit, entstehen die Werke dieses wunderbaren Künstlers.

Zweifellos ist die Ausstellung eine der besten, die im Museum Zündorfer Wehrturm bislang zu sehen waren. Einmal mehr wird darüber bekräftigt, wie interessant und wichtig dieser Ort für das ge­samtstädtische Kunstgeschehen ist. Und da es zugleich die letzte Ausstellung für dieses Jahr ist, lohnt sich der Besuch gleich in mehrfacher Hinsicht.

Museum Zündorfer Wehrturm, Hauptstraße 181, Mi,Sa 15-18 Uhr, So 14-18 Uhr, bis 10. 11.

Zurück